Blogbeitrag

Stand: A-Alimentation in Berlin / Juli 2025 / Justizversagen ?

Es gibt Rechtsanwalts-Kollegen, die im Juni 2024 einen „Testballon“ gestartet haben. Nachzulesen u.a. hier:

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001590097

Der Fall war / ist also vergleichbar mit den von uns für Sie geführten Verfahren insofern, als in dem Gerichtsverfahren des betroffenen Berliner Beamten auch ein Aussetzungsbeschluss ergangen ist – Randnummer 6.

Der Test des Rechtsanwaltes bestand nun darin, dass er – eben vor dem Hintergrund der jahrelangen Untätigkeit des Bundesverfassungsgerichts in diesem Vorlageverfahren (Sie erinnern sich dunkel: das Bundesverwaltungsgericht hat dem Bundesverfassungsgericht die entsprechenden Fragen zur Verfassungsgemäßheit des Berliner Beamtenbesoldungsgesetzes vorgelegt) – in dem ausgesetzten Verfahren einen konkreten Zahlungsantrag stellte (ca. 25.000 Euro) und somit das Verfahren wieder zum Leben erwachte. Aber nur kurz, denn das Verwaltungsgericht trennte diesen Zahlungsantrag ab und somit gab es ein neues Verfahren.

Randnummer 7

Mit Schriftsatz vom 5. Juni 2024 hat der Kläger die Klage um einen Zahlungsantrag erweitert, indem er für die Jahre 2017 bis 2019 eine Nachzahlung zur Besoldung in Höhe von 25.313,67 Euro begehrt.

Randnummer 8

Im Anschluss an diese Klageerweiterung hat die Kammer das Verfahren unter dem Aktenzeichen Z ... wieder aufgegriffen. Mit Beschluss vom 18. Juli 2024 hat die Kammer das Verfahren im Hinblick auf den Zahlungsantrag abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen VG 26 K 153/24 fortgeführt.

Dieser Test verlief erfolglos.

Das Verwaltungsgericht Berlin wies die Klage ab mit dem Verweis darauf, dass die (angegriffene Höhe der) Besoldung der immer noch geltenden Gesetzeslage entsprach.

Rn. 25:

„Der geltend gemachte „Nachzahlungsanspruch“ scheidet daher – unabhängig von seiner behaupteten Höhe – mangels einer hierfür erforderlichen gesetzlichen Grundlage aus. Im Besoldungsrecht gilt der Vorbehalt des Gesetzes umfassend (vgl. § 2 Abs. 1 Bundesbesoldungsgesetz in der Überleitungsfassung für Berlin – BBesG BE). Beamten darf keine über die gesetzlich vorgesehene Besoldung hinausgehende Vergütung gewährt werden (vgl. § 2 Abs. 2 BBesG BE).„

 

Das VG führte auch dazu aus, dass dem Kläger das „Abwarten“ der Entscheidung des BVerfG und der sich anschließenden (Landes-) Gesetzesänderung (Reparaturgesetz) durchaus zugemutet werden kann.

Rn. 28:

„Dem Beamten wird nicht nur bei Zweifeln an der Verfassungswidrigkeit einer Norm, sondern auch im Erfolgsfall des verfassungsgerichtlichen Verfahrens zugemutet abzuwarten, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat (BVerwG, Urt. v. 20.3.2008 – 2 C 49.07 –, juris, Rn. 29; Beschl. v. 25.1.2006 – 2 B 36/05 –, juris, Rn. 5, jeweils m.w.N.).“

 

Denn, so das VG, dass das Land Berlin gutwillig ist und zügig (ja, es fällt das Wort „zügig“ im Zusammenhang mit dem Handeln des Landes Berlin) die Vorgaben des BVerfG umsetzt, das zeige das Beispiel der Entscheidung zur R-Besoldung.

Rn. 30:

„Vielmehr zeigt auch der Erlass des sogenannten „Reparaturgesetzes“ (Gesetz über die rückwirkende Herstellung verfassungskonformer Regelungen hinsichtlich der Besoldung in den Besoldungsgruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 und der Besoldungsgruppe R 3 im Jahr 2015 v. 23.6.2021; GVBl, S. 678) im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Berliner R-Besoldung, dass der Besoldungsgesetzgeber offenbar willens ist, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß der gesetzten Frist zur Neuregelung zügig umzusetzen (vgl. zur – etwa einjährigen – Umsetzungsfrist BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 –, juris, Tenor zu 2). „

 

Daher muss auch – so das VG – nicht auf die Möglichkeiten des BVerfG zur Vollstreckung der eigenen Entscheidung bei Untätigkeit der Legislative eingegangen werden.

Gemeint ist hier offenbar: da ja nicht das Landesparlament untätig ist, sondern das BVerfG.

„Unabhängig davon eröffnet die Kompetenz zum Erlass von Vollstreckungsanordnungen nach § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz verschiedene prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten, um auf eine etwaige gesetzgeberische Untätigkeit bei der Umsetzung bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen – auch noch nachträglich – zu reagieren (vgl. z.B. BVerfG, NVwZ 2014, 867 (878); Sauer, in: BeckOK/BVerfGG, § 35 Rn. 12). Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern der effektive Rechtsschutz des Klägers (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) es erforderlich machte, ihm entgegen dem Grundsatz des besoldungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts zum jetzigen Zeitpunkt einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegenüber dem Beklagten zu gewähren.“

Dieser letzte Satz ist allerdings bemerkenswert.

(„Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern … zu gewähren.“)

Immer wenn ein Gericht schreibt: „zum jetzigen Zeitpunkt“, dann hat es zwar erkannt, dass etwa faul ist, es ist jedoch der Meinung, dass es noch nicht lange genug faul ist.

Dieser Satz kann also nur damit zu tun haben, dass das VG selbst einschätzt (ohne dies gesondert herauszustellen), dass das Verfahren sehr lange dauert.

Meint das VG dann auch: „zu lange dauert“?

Nein. Noch nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

 

Wir meinen: Versagt die Justiz, dann ist eben der Rechtsschutz des Klägers (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht mehr effektiv. Das gilt für alle Gerichte / Gerichtszweige und so eben auch für das BVerfG. Von einem Versagen gehen wir aus, wenn ein Gericht über einen Zeitraum von jedenfalls 5 Jahren untätig bleibt. Die hier für uns relevanten Aussetzungsbeschlüsse sind im Zeitraum Ende 2019 bis Ende 2020 ergangen. Die hier maßgeblichen Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts sind aus dem Jahr 2017.

Wir meinen: in den hier von uns betreuten verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes verletzt. Die Gerichte versagen.

Dabei können die Gründe des Versagens dem Kläger egal sein. Er hat – wie die Mandanten richtig anmerken – gezahlt. Er hat seinen Teil geleistet. Die Justiz versagt.

Wir lesen daher die VG-Entscheidung so: zum jetzigen Zeitpunkt kann das VG Berlin ein solches Totalversagen des BVerfG noch nicht feststellen…

Ist erkennbar, dass das VG eine „red line“ zieht für die Untätigkeit des BVerfG ? Nein.

Ist erkennbar, was das VG für den Fall des Überschreitens einer red line in Erwägung zieht ? Nein.

 

Und noch eine Anmerkung zu dem o.g. Urteil / Testballon: der war nicht ganz preiswert. Der Streitwert lag bei 30.000 Euro (eben ein abgetrenntes Verfahren). Hoffen wir mal, dass Ihr Kollege auch für diesen Zahlungsantrag Rechtsschutz hatte.

Nicht nur, dass die Justiz versagt, sie provoziert durch ihr Versagen weitere Verfahren (wie eben diesen Testballon) und die Kläger werden (nochmals) zur Kasse gebeten.


Für Fragen stehen wir gerne bereit.


Rechtsanwalt

Michael Wahl

 

Rechtsanwältin

Dr. Susen Wahl

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Kommentare

Kommentar von Ursus |

Die Alimentationsansprüche gelten "unmittelbar", jeweils gegenwärtig, so verstanden "sofort", grundsätzlich bereits im jeweils laufenden Haushalts- und Kalenderjahr. Sie müssen durch eine zeitgerecht veröffentlichte fundierte und detaillierte Prognose abgesichert sein. Diese Prognose ist nach Ablauf eines jeden Haushalts- und Kalenderjahres auf ihre gezeigte Tragfähigkeit hin zu prüfen. Ggfs. entsteht dadurch "unmittelbar" weiterer Handlungsbedarf. Da die 17 Besoldungsgesetzgeber dies vorsätzlich verweigern bleibt nur noch der Europäische Gerichtshof mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. 🤷

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